Feel Again Read online

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  Ich ließ ihm den Themawechsel durchgehen. »Super. Es wirkt realistischer, wenn du dich beschäftigst.« Ich trat ein paar Schritte zurück und hob die Kamera wieder vor mein Gesicht, während Isaac anfing zu tippen. Ich betrachtete ihn durch die Linse, ging ein Stück in die Knie und drückte den Auslöser. Das aufgeregte Kribbeln kroch über meine Haut, das mir immer verriet, dass ein Bild gut geworden war.

  »Sehr schön«, murmelte ich.

  Ich fokussierte Isaacs Gesicht. Er blickte konzentriert auf den Bildschirm und ließ sich nicht von mir ablenken. Ich nahm mir fest vor, ihm ab sofort immer etwas zu tun zu geben, wenn ich ihn fotografierte.

  Ich machte einen Schritt zur Seite, um das Regal im Hintergrund ganz mit draufzubekommen – und blieb mit meinem Fuß in einem Kabel hängen. Ich verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. In letzter Sekunde gelang es mir, meine Arme schützend um meine Kamera zu legen.

  »Shit, Sawyer!« Isaac sprang vom Stuhl und ging neben mir in die Hocke. Vorsichtig berührte er meinen Arm. »Alles in Ordnung?«

  Benommen nickte ich. Noch immer auf dem Boden liegend, drückte ich auf das kleine grüne Dreieck auf der Rückseite meiner Kamera, mit dem man die letzte Aufnahme aufrief. Grinsend setzte ich mich und zeigte sie Isaac.

  »Das war es wert.«

  Er betrachtete das Bild. Mehrmals blinzelte er. »Ich sehe gut aus«, sagte er verdutzt.

  »Warte erst, bis ich mit dir fertig bin«, gab ich schmunzelnd zurück.

  Seine Wangen wurden rosa.

  Auch das würde ich mit der Kamera einfangen.

  Irgendwann.

  »Du siehst aus, als würde ich dich foltern«, sagte ich. Der Auslöser der Kamera klickte.

  Isaac presste die Lippen fest aufeinander. Sein Kehlkopf hüpfte nervös, als er schluckte. »Die Leute starren uns an.«

  Ich nahm die Kamera vom Gesicht und blickte mich um. Kaum jemand sah in unsere Richtung. »Wir brauchen ein paar Bilder von dir auf dem Campus. Außerdem guckt kein Mensch hierher.«

  Isaac seufzte. Dann schüttelte er seine Hände aus. »Okay. Neuer Versuch.«

  Ich hob die Linse wieder vor mein Gesicht. »Lehn dich gegen die Wand«, leitete ich ihn an. Ich trat die wenigen Schritte zu ihm und hob seine Hände ein Stück an, um das Buch, das er hielt, in den richtigen Winkel zu bringen. »Und jetzt bleib genau so. Es soll natürlich wirken.«

  Isaac hob skeptisch die Augenbrauen. »Ich habe noch nie in meinem Leben an einer Wand gelehnt und ein Buch gelesen. Es fühlt sich nicht sehr natürlich an.«

  »Stell dich nicht so an. Die Bilder werden super.«

  Da Isaac bei Wesley’s seine Arbeitsuniform getragen hatte, hatte ich ihn dazu überredet, mich heute noch mal hier zu treffen, damit ich ein paar Bilder von seinem Vorher-Style machen konnte. Ich hatte ihn im Vorfeld gebeten, sich so wie immer anzuziehen, was nach seiner Definition ein Hemd mit Krawatte, darüber ein Pullover mit V-Ausschnitt, eine dunkelblaue Chinohose und Derbyschuhe bedeutete.

  Ich hatte mein Augenrollen nur mit Mühe unterdrücken können. Und ich blieb bei meiner Meinung: Isaac sah nicht aus wie ein Farmer. Er sah nicht mal aus wie ein Student. Er sah aus wie Isaac Theodore Grant, der dritte, Lord von Blablabla. Ich konnte es kaum erwarten, Zugang zu seinem Kleiderschrank zu bekommen und einmal gründlich auszumisten.

  Er ließ seinen Blick erneut über den Vorplatz der Universität wandern. Es war egal, dass das bereits der dritte Ort war, an dem wir versuchten, vernünftige Bilder zu machen – er war noch immer viel zu nervös und unsicher. Dabei war das Licht hier wirklich wunderschön. Es wäre eine Schande, das nicht auszunutzen. Ich beschloss, Isaac keine Anweisungen mehr zu geben und einfach zu schießen.

  »Wow«, murmelte ich nach ein paar Minuten und drückte ein letztes Mal auf den Auslöser. »Gar nicht so schlecht.«

  »Sind wir fertig?«, fragte er hoffnungsvoll.

  »Gott, du bist schlimmer als Dawn.« Ich klickte mich durch die Bilder. Die Perfektionistin in mir sah sofort Tausende Dinge, die ich hätte besser machen können, aber alles in allem konnte sich das Ergebnis sehen lassen. Isaac Grant, wie er leibt und lebt. Genau das, was ich wollte.

  »Heute Abend steht noch, oder?«, fragte ich, während ich meine Kamera vorsichtig in meinem Rucksack verpackte.

  »Ja.«

  »Soll ich uns was zu essen mitbringen?«, fragte ich.

  Isaac schüttelte den Kopf. »Der Onkel meines Mitbewohners hat ein Restaurant in der Stadt, und wir bekommen täglich Reste, die für zwanzig Personen reichen. Also komm gerne hungrig.« Er sah auf seine Uhr. »Ich muss los.« Er schulterte seine Ledertasche und hob dann unbeholfen die Hand. »Bis später.«

  Ich nickte ihm zu und machte mich dann selbst auf den Weg nach Hause. Ich hatte noch eine Hausaufgabe, die ich für Technische Verfahren und Prozesse erledigen musste, und auch wenn sich meine Motivation in Grenzen hielt – ich konnte es nicht ewig hinauszögern.

  Doch als ich zurück ins Wohnheim kam, wäre ich am liebsten sofort wieder umgedreht. Aus unserem Zimmer drang nicht nur Dawns, sondern noch eine weitere weibliche Stimme in den Flur. In den allermeisten Fällen bedeutete das, dass Allie zu Besuch war. Die Stimmung zwischen uns war nach wie vor merkwürdig – was wahrscheinlich normal war, wenn man eine Vergangenheit hatte wie wir beide. Trotzdem musste ich dem Drang, wegzulaufen, mit aller Macht widerstehen.

  Ich sah nicht auf, als ich in den Raum trat, und schloss geräuschlos die Tür hinter mir.

  »Hallo, Schwesterherz!«

  Ich erstarrte und fuhr herum.

  Neben Dawn auf meinem Bett saß meine Schwester Riley.

  In der nächsten Sekunde tat ich etwas, das ziemlich untypisch für mich war: Ich stieß ein lautes Kreischen aus.

  In einem Satz sprang ich auf meine Schwester zu und fiel ihr um den Hals. Gemeinsam taumelten wir auf dem Bett nach hinten, ein Knäuel aus Armen, Beinen und Haaren. Nur halb nahm ich wahr, dass Dawn sich kichernd erhob und in ihre Zimmerhälfte ging.

  Es dauerte eine Weile, bis ich es über mich brachte, Riley wieder loszulassen. »Lila. Gefällt mir«, sagte ich und nahm ein paar ihrer welligen Haarspitzen zwischen meine Finger.

  »Hellblond«, gab sie zurück und imitierte meine Bewegung. »Langweilerin.«

  »Ich mag meine Haare«, sagte ich und streckte ihr die Zunge raus.

  »Du hast mir gefehlt.« Noch einmal nahm Riley mich in den Arm.

  »Was zum Teufel machst du hier?«, fragte ich.

  Riley wohnte noch immer in Renton, einer Stadt knapp viereinhalb Stunden von Woodshill entfernt. Wir waren beide dort aufgewachsen und hatten dort die Hölle auf Erden erlebt. Ich hatte nie verstanden, wie sie hatte bleiben können – ich brachte es kaum über mich, mich für die Dauer eines kurzen Besuchs dort aufzuhalten.

  Was wahrscheinlich auch der Grund war, warum wir immer telefonierten, uns aber nur selten sahen.

  »Du hast am Montag gar nicht gesagt, dass du vorbeikommst.«

  »Es gibt Neuigkeiten, die ich meiner kleinen Schwester persönlich mitteilen wollte, und nicht übers Telefon«, sagte sie.

  Sie grinste mich an, und ich wurde daran erinnert, wie ähnlich sie unserem Vater sah – im Gegensatz zu mir. Ich war mehr oder weniger das Ebenbild meiner Mutter. Was unseren Kleidungsstil und unsere Liebe für Tattoos und auffälliges Make-up anging, waren Riley und ich allerdings schon immer wie Zwillinge gewesen. Das hatte sich bis heute nicht geändert.

  Ich war so beschäftigt damit, Rileys Anblick in mich aufzunehmen, dass ich erst gar nicht bemerkte, dass sie mit ihrer linken Hand vor meinem Gesicht herumfuchtelte. Ein Funkeln ließ mich innehalten.

  Dann erstarrte ich. An ihrem Ringfinger steckte ein Platinring mit einem schwarzen Diamanten.

  »Morgan hat mir gestern Abend einen Antrag gemacht.« Riley strahlte mich an.

  Mein Mund klappte auf.

  Und gleichzeitig sank mir das Herz in die Hose.

  »Sawyer? Ich gehe rüber zu Spence«, sagte Dawn vom a
nderen Ende des Raumes. »Herzlichen Glückwunsch, Riley.«

  Ich konnte den Blick nicht von Rileys Hand losreißen, also nickte ich nur, ohne aufzusehen.

  »Herzlichen Glückwunsch«, wiederholte ich Dawns Worte mit rauer Stimme und spürte, wie sich dabei meine Brust zusammenzog.

  Riley war alles, was ich hatte. Sie war der einzige Mensch auf dieser Welt, der mich kannte und mich verstand. Der wusste, warum ich so war, wie ich war. Dem ich vertraute.

  Ohne Riley war ich vollkommen allein.

  Ich merkte, wie die Panik in mir hochkroch und sich an die Oberfläche kämpfte.

  Ich musste das Thema wechseln. Schnell.

  Ich räusperte mich. »Ich habe endlich ein Abschlussprojekt gefunden.« Mit einem künstlichen Grinsen auf dem Gesicht blickte ich wieder zu ihr auf.

  Riley runzelte verwirrt die Stirn. Ich sah die Enttäuschung in ihren Augen, aber ich sprach einfach weiter. »Da ist dieser Kerl, der ist ein totaler Nerd und schafft es einfach nicht, ein Date zu bekommen. Ich werde ihn zum Aufreißer machen und daraus eine Fotoreihe zusammenstellen. Oh, und habe ich schon erzählt, dass Robyn meine ›Morgen danach‹-Reihe ausgestellt hat?«

  Einen Moment lang sah Riley mich schweigend an. Dann schloss sie kurz die Augen, schluckte schwer und holte Luft. »Nein, hast du nicht. Das ist wirklich toll.« Ihr Grinsen war mindestens genauso künstlich wie meins.

  »Die Bilder hängen jetzt bis nächste Woche im Flur«, erzählte ich weiter in dem verzweifelten Versuch, diesen unangenehmen Moment hinter mich zu bringen und die Stille zwischen uns zu füllen.

  Meine Schwester würde bald ihre eigene Familie haben. Eine, von der ich kein Teil sein würde.

  »Das ist super.«

  »Ja.« Ich räusperte mich und spielte an der Ecke eines meiner Kissen herum. »Wie ist es in der Tierklinik?«

  »Toll, wie immer.«

  »Dann läuft ja alles super«, murmelte ich.

  »Ja.«

  Unwillkürlich berührte ich das Medaillon, das an einer Kette um meinem Hals hing. Es anzufassen löste in mir jedes Mal ein vertrautes Gefühl aus, das sich wie Zuhause anfühlte. Es beruhigte mich. Rileys Blick glitt zu meiner Hand, und sie schluckte schwer.

  »Was würden Mom und Dad wohl sagen?«, fragte sie kaum hörbar, so, als hätte sie die Frage an sich selbst gerichtet.

  Ich hatte darauf keine Antwort.

  Riley fuhr am frühen Abend wieder zurück, weil sie zur Frühschicht in der Tierklinik sein musste. Wir hatten das Thema ihrer Verlobung für den Rest des Nachmittags konsequent ausgeklammert, auch wenn es wie ein riesiger Elefant die gesamte Zeit im Raum gestanden hatte. Ein paarmal war es still zwischen uns geworden, und Riley hatte so ausgesehen, als wollte sie etwas sagen, doch dann hatte ich die Pause schnell mit irgendwas Belanglosem gefüllt.

  Nachdem sie sich schließlich verabschiedet hatte, hatte ich eine Weile auf meinem Bett gelegen und die Decke angestarrt. Ich hatte versucht, an nichts zu denken. Und vor allem nichts zu fühlen. Doch meine Gedanken hatten sich überschlagen, und von einer Sekunde auf die andere hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

  Daraufhin hatte ich mir meine Kamera geschnappt und war nach draußen gegangen. In der Natur von Woodshill konnte ich mich immer gut ablenken. Isaac hatte mir seine Adresse aufs Handy geschickt, und der Weg dorthin würde nur zwanzig Minuten dauern, also ließ ich mir Zeit und versuchte, meinen Kopf frei zu bekommen und mich zu beruhigen.

  Ich wollte mich für Riley freuen. Wirklich. Mir war nichts wichtiger, als dass es ihr gut ging und sie glücklich war. Aber die Vorstellung, sie nicht mehr für mich zu haben und sie an jemanden anderen zu verlieren – es tat einfach weh.

  Riley und ich hatten eine schreckliche Kindheit und Jugend gehabt. Ich hatte immer geglaubt, dass wir durch das, was uns widerfahren war, eng miteinander verbunden waren und einander besser verstanden als jeder andere. Aber plötzlich fühlte es sich so an, als wäre da eine riesige Distanz zwischen uns. Eine Distanz, die ich nicht würde überbrücken können, weil ihr Leben von einem Tag auf den anderen völlig anders war als meins. An den Punkt, an dem sie sich jetzt befand, würde ich niemals kommen. Jemandem vertrauen, jemanden lieben. Jemanden so nah an sich heranlassen, dass man alles miteinander teilte. Und dass man sich versprach, den Rest des Lebens miteinander zu verbringen. Das würde ich niemals können. Da war ich mir vollkommen sicher.

  Ich führte keine Beziehungen. Das Einzige, was ich zuließ und verstand, war Sex – mehr nicht. Dass ich so war, war mir bisher nie unnormal vorgekommen, weil Riley es auch immer so gemacht hatte. Selbst als sie vor mehr als drei Jahren Morgan kennengelernt hatte, hatte sie mir erzählt, dass es ihr schwerfiel, sich ihm gegenüber zu öffnen, und dass sie nicht glaubte, für etwas Festes gemacht zu sein.

  Dass sich das geändert hatte, war völlig unbemerkt an mir vorbeigegangen. Oder ich hatte es vielleicht einfach nicht wahrhaben wollen.

  Jetzt war sie verlobt. Sie würde tatsächlich heiraten und mit Morgan eine Familie gründen. Und ich würde für immer die kleine verrückte Schwester bleiben, die nichts auf die Reihe bekam und nur für Ärger sorgte. Genau wie früher.

  Am liebsten wäre ich umgedreht und zu meiner Stammkneipe gegangen, wo der Besitzer wusste, dass ich noch keine einundzwanzig war, mir aber trotzdem jeden Alkohol ausschenkte, den ich haben wollte. Doch als ich um die Ecke bog, ragte Isaacs Wohnblock vor mir auf, und ich verdrängte den Impuls. Ich hatte ein Projekt, an dem ich arbeiten musste, und Ablenkung würde mir jetzt guttun.

  Ich drückte auf die Klingel, auf der Isaacs Name und noch ein weiterer standen. Der Öffner summte wenig später, und ich ging die Treppe nach oben. Im ersten Stock wurde auf der linken Seite die Tür geöffnet, und ein gut aussehender schwarzhaariger Kerl mit Bart streckte den Kopf in den Flur.

  »Du musst Sawyer sein«, meinte er und zog die Tür ganz auf. Dann reichte er mir die Hand. »Grant ist noch nicht wieder da, aber komm ruhig schon mal rein. Ich bin Gian.«

  »Hi.« Ich ergriff seine Hand.

  Im Gegensatz zu Isaac sah Gian mit seinem T-Shirt und der Jeans auf den ersten Blick geradezu normal aus. Doch als ich an ihm vorbei und in die Wohnung der beiden trat, war mir schlagartig klar, dass er mindestens ein genauso großer Nerd wie Isaac sein musste, wenn er hier lebte. Mal abgesehen von der Fußmatte, auf der »Willkommen Muggle« stand, hingen im kleinen Flur zwei gerahmte Plakate von The Legend of Zelda. Im angrenzenden Wohnzimmer waren unzählige originalverpackte Actionfiguren in einem hohen Holzregal drapiert, und in der hintersten Ecke des Zimmers stand eine lebensgroße Figur von Darth Vader, der einen Arm um eine Pappversion von Bilbo Beutlin gelegt hatte.

  Gian deutete auf einen gemütlich aussehenden Sitzsack, der neben dem Sofa stand und die Form eines dicken, türkisfarbenen Pokémons hatte. »Mach es dir doch schon mal auf Relaxo bequem. Möchtest du was trinken?«

  »Ja, danke.« Zögerlich setzte ich mich und schaffte es nur gerade so, einen überraschten Laut zu unterdrücken. Es fühlte sich an, als würde ich von einem riesigen Marshmallow verschluckt werden. Herrlich.

  »Eigentlich sollte Isaac schon vor zweieinhalb Stunden wieder hier sein«, meinte Gian, während er mir eine Dose Cola hinstellte und sich dann auf das große braune Sofa fallen ließ. Er streckte die Beine aus und überkreuzte sie auf dem Wohnzimmertisch.

  »Sein Chef lässt ihn bestimmt Überstunden machen. Dieses Arschloch«, meinte ich.

  Gian nickte kräftig. »Genau! Ich sag ihm schon seit Wochen, dass er kündigen soll.«

  Sich mit Gian zu unterhalten, war überraschend leicht. Er hatte keine Berührungsängste und plapperte einfach drauflos, was wahrscheinlich daran lag, dass er weder von mir eingeschüchtert war, noch vorhatte, mich ins Bett zu kriegen – die beiden Reaktionen, die ich normalerweise in Männern hervorrief, wenn sie mir zum ersten Mal begegneten. Er erzählte mir, warum er zum Studieren nach Woodshill gekommen war – wegen seiner Exfreundin Regina –, wie er Isaac kennenglernt hatte – über seine Exfreundin Regina – und
wie er und Isaac zusammen in dieser Wohnung gelandet waren – wegen seiner Exfreundin Regina. Mit ihr hatte Gian zuerst hier gelebt, allerdings hatte sie ihn vor einiger Zeit wohl übel abserviert. So oft, wie Gian ihren Namen sagte, ging ich davon aus, dass er noch weit davon entfernt war, über sie hinweg zu sein.

  Als Isaac nach einer Stunde noch immer nicht zurück war, wärmte Gian die Lasagne auf, die er vom Restaurant seines Onkels mitgebracht hatte, und brachte mir einen Teller. Dazu bekam ich ein großes Glas Rotwein, das ich dankend entgegennahm.

  Die Haustür öffnete sich, als wir gerade aufgegessen hatten. Wir hörten Isaac kurz im Flur hantieren, dann kam er ins Wohnzimmer. Obwohl ich ihn noch nicht lange kannte, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Ohne uns eines Blickes zu würdigen, stapfte er an uns vorbei nach hinten in sein Zimmer. Es schepperte laut, und er fluchte. Dann fiel die Tür ins Schloss.

  Gian und ich sahen einander an.

  »Alles in Ordnung, Bro?«, rief Gian.

  Es kam keine Antwort.

  Ich kämpfte mich aus dem Relaxo-Sitzsack, stellte mein Weinglas auf dem Tisch ab und durchquerte das Wohnzimmer. Ich klopfte vorsichtig an Isaacs Tür. Er antwortete nicht, aber ich öffnete sie dennoch einen Spaltbreit.

  Isaac saß mit gesenktem Kopf auf seinem Bett. Er trug seine Arbeitskleidung und hielt in einer Hand seine Brille. Mit der anderen rieb er sich die Nasenwurzel.

  »Wesley hat mich rausgeworfen.« Er sprach leise.

  »Fuck«, zischte ich und betrat das Zimmer ganz. Es war minimalistisch eingerichtet und genauso sauber und aufgeräumt wie Isaac selbst. Nur vor dem Bett lagen auf dem Boden ein paar Stifte, ein Ordner und Blätter, die Isaac wahrscheinlich vom Schreibtisch gefegt hatte. Ich machte einen großen Schritt darüber und setzte mich zaghaft neben ihn.

  »Er hat mir gekündigt. Von jetzt auf gleich. Weil er jemanden gefunden hat, der die Arbeit für weniger Geld macht und noch mehr Stunden in der Woche übernimmt.«

  »So ein Arschloch«, knurrte ich.

  Isaac zuckte nur resigniert mit den Schultern.

  Ich hob eine Hand, um sie ihm auf die Schulter zu legen, überlegte es mir in letzter Sekunde aber anders und ließ sie wieder in meinen Schoß fallen. Wo war Dawn, wenn man sie brauchte? Sie wusste immer, welche Worte in solchen Situationen die richtigen waren. Ich hingegen hatte keinen blassen Schimmer, was eine angemessene Reaktion war.